Ehem. Stiftskirche St. Christophorus, Ravengiersburg

Die ehemalige Augustiner-Chorherrenstiftskirche Ravengiersburg liegt landschaftsbeherrschend auf einem den Simmerbach überragenden Schieferfelsen. Die Blütezeit des Stiftes war das 13. bis 15. Jahrhundert. Danach begann der langsame Niedergang, dem schließlich 1566 die Aufhebung folgte. Zwar kehrten die Augustiner zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges noch einmal zurück, mussten das Kloster jedoch kurze Zeit später, beim Herannahen der Schweden 1631, wieder aufgeben. Damals wurden die Kirche und der Kreuzgang bis auf die Grundmauern verwüstet. Einzig das im 2. Viertel des 12. Jahrhundert errichtete Westwerk blieb erhalten.

Dieser westliche Vorbau ist, abgesehen von seiner Monumentalität, auf mehrfache Weise beeindruckend. Zum einen durch die im Innern, in der Michaelskapelle, erhaltenen frühgotischen Wandbilder der hl. Katharina und des hl. Christophorus aus der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts, bei denen es sich vermutlich um wandfeste Retabel für Altäre handelt. Zum anderen um die deutlich früher entstandene romanische Bauplastik der Außenfassade, deren ausdrucksstarke archaische Christusbilder den Herannahenden noch heute in ihren Bann ziehen.

Christus erscheint uns hier gleich zweifach. So erblicken wir ihn am Kreuz als Lebenden mit langer gegürteter Ärmeltunika und Krone. Die Darstellung basiert auf dem sogenannten Volto Santo („Heiliges Antlitz“), einem seit dem 11. Jahrhundert im Dom von Lucca verehrten Kruzifixus. Nach der mittelalterlichen Legende wurde es von Nikodemus geschnitzt, das Antlitz jedoch von Engeln geformt. Nach zahlreichen Wundern erlangte das Kultbild, das den Rang eines „authentischen Christusbildes“ beanspruchte, weite Verbreitung. Im festlich gewandeten Christus konkretisiert sich zudem die Hoffnung auf die Wiederkunft des Herren am Jüngsten Tag.

Darüber hinaus schmückt die Westwand eine Darstellung der Maiestas Domini („Herrlichkeit des Herrn“). Sie war, neben dem Gekreuzigten, das zweithäufigste Gottesbild der Romanik. Gezeigt wird Christus in strenger Frontalität auf dem Regenbogen thronend, umgeben von den vier Symbolen der Evangelisten. Während er seine Rechte zum Segen erhebt, umfasst seine Linke das aufgeschlagene Buch des Lebens mit der Inschrift: Ich bin das A und Ω.

Dieser Bildtypus entstand nicht als Illustration eines bestimmten Bibelverses, sondern wurde durch verschiedene biblische Visionen, vor allem der Propheten Isaias und Ezechiel sowie des Evangelisten Johannes, angeregt. Erste Darstellungen sind bereits vor 500 im östlichen Mittelmeerraum nachweisbar. Nach 800 findet sich dieses Motiv auch im Westen, wo sich in spätkarolingischer Zeit die für lange Jahrhunderte gültige Darstellungsform herausbildet. In der Folge ist das Bild des Thronenden fast jedem Evangeliar vorangestellt. Um 1100 ist die Darstellung zum beherrschenden monumentalen Motiv in den ausgemalten Chorräumen der Kirchen geworden.

So findet sich eine Maiestas Domini im nahen Sargenroth in beeindruckender Ausführung mit vier anthropomorphen Evangelistensymbolen im Chorgewölbe der Nunkirche. Schließlich taucht das Motiv – über Frankreich vermittelt – an den Bogenfeldern der Hauptportale auf, wo es in enger Beziehung zum Jüngsten Gericht steht. Insofern verwundert auch die monumentale Reliefdarstellung in Ravengiersburg nicht, ist sie doch für ihre Zeit ein überaus oft zu findendes Motiv.

Was verwundert, ist eher der Ort der Anbringung: eben nicht im Hauptportal, sondern weit darüber, ja sogar noch über dem Fenster des Oratoriums, der Michaelskapelle. Zwar ist der thronende Christus somit für den Betrachter weithin sichtbar, jedoch entzieht sich die gereimte Inschrift in Majuskelbuchstaben, die sich an den Gläubigen wendet, in dieser Höhe jeder Lesung. So bleibt hier der archaisch strenge Gott in zweifachem Sinn ein ferner Gott. Dies ist umso bedauerlicher, wird doch so der Gläubige nicht des tröstenden Heilsversprechens teilhaftig, das ihm einen Weg für die Vergebung der Sünde eröffnet: Ihr, die euch auf Erden das krankmachende Verderben der Sünde beschwert, könnt das Heilmittel erlangen, wenn ihr zu mir flieht.

Volto Santo | © Werner Dupuis

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Maiestas Domini | © Werner Dupuis
Villa Musica-Konzert im Innenhof des Klosters | © Werner Dupuis

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